Zwei Beiträge von Prof. Dr. Knud Eike Buchmann
Wir freuen uns sehr, die zwei von Prof. Dr. Knud Eike Buchmann für den Schwarzwälder Boten geschriebenen Artikel zum Memento Tag 2020 hier im Blog veröffentlichen zu dürfen.
Die mit dem Tod umgehen…
Oft ist der Weg zum Tod kurz – zuweilen ist er lang und schwierig – immer aber führt er in die Dunkelheit… Alle Menschen sterben, kaum einer möchte allein sein, wenn es soweit ist. Wer sind diese Menschen, die andere auf ihrem letzten Weg begleiten – und wie gehen sie mit dieser meist selbstgewählten Aufgabe um?
Aber zuerst: Wo sterben heute Menschen in unserer Gesellschaft? Ohne die Statistik bemühen zu wollen, kann man sagen, dass die meisten Menschen gern zuhause sterben würden – aber die meisten sterben in Pflegeheimen, im stationären Hospiz, in Kliniken und – was so nicht gedacht war- auf Palliativstationen. Die Verweildauer in stationären Einrichtungen ist in den letzten Jahren – unter den gegenwärtigen Abrechnungsbedingungen kürzer geworden. Die pflegerischen und ärztlichen Arbeitsbedingungen werden immer wieder als „unmenschlich“ bezeichnet, weil immer weniger Betreuungskräfte immer mehr Patienten pflegen und begleiten müssen. Ohne die vielen ehrenamtlichen, sehr engagierten Begleiterinnen und Begleiter sähe die Lage noch viel schlechter aus. Sterben im „Medizinbetrieb“ kann leicht zu einer guten Einnahmequelle oder zu einem merkantilen Fiasko werden. Auch wenn Hospize „5-Sterne-Pflege-Einrichtungen“ zum Lebensende darstellen, ist uns bewusst, dass nur eine kleine Zahl von Sterbenden in diesen „Genuss“ kommt. Pflege- und Altersheime sollten zu Hospizen werden – zumindest solche Abteilungen im Angebot ihrer Leistungen haben.
Aber ich möchte etwas zu den Menschen sagen, die Sterbende versorgen und begleiten. Sicherlich denkt man zuerst an Pflegekräfte und Ärzte. Dann sind da Sterbebegleiter, die sich dieser Aufgabe stellen. Psychotherapeuten und Fachkräfte in der Palliativmedizin und der Hospizarbeit, Seelsorger und – nicht zu vergessen – viele Angehörige sorgen sich zum Lebensende um die Moribunden. Manche Menschen stehen für diesen letzten Liebesdient nur in Einzelfällen zur Verfügung; vielen anderen ist dieses Begleiten zu einem großen Teil ihrer beruflichen Tätigkeit geworden. Was geht in diesen Menschen vor, wenn sie über lange Zeit immer wieder Abschied nehmen müssen, von Menschen, denen sie unterschiedlich lange nah waren?
Allgemeingültige Aussagen sind hier schwer zu treffen. Und die folgenden Gedanken sind nur ein Bruchteil jener Erfahrungen, die „Pflegende“ immer wieder machen. Das Befinden und das Engagement der „letzten Helfer“ hängt auch stark von der Würdigung ihrer Arbeit in der Gesellschaft ab. „Würdigung“ bedeutet eben auch angemessener Bezahlung und Schaffung von „würdigen Arbeitsbedingungen. Dazu gehört vor allem Zeit. Ärzte und Pflegende versorgen in Voll- und Teilzeit Sterbende und deren Angehörige. Auch wenn man von „Sterbe-Profis“ erwartet, dass sie ihren Beruf beherrschen, sind sie doch in erster Linie Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen. Vor allem möchten sie ihre „Arbeit“ gut machen. Wer verlangt oder vorgibt, dass diese Menschen „unverwundbar“ sind, ihre Gefühle ausblenden und nach ihrem Arbeitstag „ungerührt“ in den Feierabend gehen, irrt sich. Menschen in ihrem Sterben nah zu sein bedeutet, sich der dauernden Konfrontation mit dem menschlichen Leid zu stellen. Wenn Angehörige ihre Schwerstkranken und Sterbenden wie ein Auto zum Kundenservice „abgeben“ und von Mechaniker verlangen, dass er alles wieder richtet („…schließlich zahlen wir ja auch dafür!“) verbittert das die Pflegekräfte. Sie sehen nicht nur liebevoll-traurige Geschichten; sie werden auch Zeugen von Rücksichtslosigkeit und hässlichen Szenen zwischen Familienangehörigen. Ärzte und Pflegekräfte sind vielleicht leidgeprüft – aber trotzdem oft so voller Trauer, dass sie diese gar nicht mehr spüren (wollen) und sich durch noch mehr Arbeit, durch Müdigkeit und Erschöpfung, durch eine wachsende und zeitfressende Bürokratisierung usw. zu einem seelischen Schaden finden: Reizbarkeit, Depressionen, gehäufter Gebrauch von Zigaretten, Alkohol, Medikamenten k a n n zu Konzentrationsmängeln und Zynismus führen. Angehörigen gesteht man Trauer und vielleicht auch Wut zu, Ärzten und Pflegekräften jedoch nicht. Schichtdienste, Probleme in der Hierarchie, immer mehr Arbeitskräfte mit Migrationshintergrund machen die Zusammenarbeit nicht gerade leichter.
Jeder Mensch sucht sich seinen Weg, die erlebten Überforderungen in den Griff zu bekommen, irgendwie will man in seinem Beruf überleben; u.a. dadurch, dass man immer weniger Nähe zum Patienten aufbaut oder hält. („Ich bin allein auf Station“). Das technisch Nötige wird erledigt, das menschlich Notwendige wird gelassen. Es wäre ein interessantes Forschungsfeld zu untersuchen, wie die „unausgesprochene Kommunikation“ untereinander ist? Was denkt der Arzt über den larmoyanten Patienten? („Wenn der wüsste, wie`s nebenan aussieht…!“) Was wünscht sich der Pfleger insgeheim von seinem sterbenden Pflegling? („Stirb schneller!“?) Mit welchen Gedanken begegnet man besserwisserischen Angehörigen, die nur fordern? Was hält man von der Kollegin?
Aber: Die große Befriedigung in der Versorgung von Schwerstkranken und Sterbenden ist – neben dem fachlichen Interesse – die Sinnhaftigkeit des Tuns. Die Professionalität liegt einerseits darin, sich nicht vom Prozess des Sterbens überwältigen zu lassen, weil man dann sein Verhalten kaum noch steuern könnte. Und -zweitens-dass Wollen und Können miteinander im Einklang sind. Es wäre illusionär, anzunehmen, man könne den Tod verhindern – aber es ist rational, das Sterben des Menschen zu begleiten und damit zu erleichtern. Und etwas Merkwürdiges geschieht: Ich tue etwas Sinnvolles für mich indem ich etwas Gutes für einen anderen tue. Was kann ich tun, um das Ertragen erträglicher zu machen? Ich kann dazu beitragen, dass Schmerz überwunden wird – nicht nur physischer Schmerz, auch seelisches Leid. In der Hingabe geben wir etwas, was uns erfüllt. So geht es immer in diesen „Endbeziehungen“ zu anderen Menschen auch um die Beziehung zu sich selbst. In der (würdigen) Gestaltung des Sterbeprozesses liegt etwas Poetisches. Die ethische Grundfrage: „Was soll ich tun?“ beantwortet sich für den Helfenden im Handeln zum Wohle eines ihm anvertrauten Menschen, der ihn benötigt!
Ich wünsche den „ Sterbe-Profis“, dass sie vor allem Lebens-Profis sind, werden oder bleiben und den Mut haben, gegen inhumane Beschränkunken immer wieder anzugehen.
Dr. Knud Eike Buchmann, Juli 2020
So vielfältig ist das Sterben …
Mors certa, hora incerta …
(Das Sterben ist sicher, nicht die Stunde)
Wenn es ans Sterben geht gibt es kein “richtig“ oder “falsch“ – es gibt meist nur Angst und Pein. So sehr wir meist den Tod als den Tod der Anderen erleben, so unterschiedlich begegnen Menschen i h r e m eigenen Tod. Wird er plötzlich geschehen – oder kommt er auf leisen Sohlen? Hier einige „Geschichten“ vom Leben und Sterben.*
Sie blickt in diesen letzten Tagen und Stunden mit etwas Wehmut und großer Dankbarkeit auf das vergangene Leben. Gedanken an ihre Kinder, Enkel.. lassen sie lächeln. Erinnerungen an ihre vielen Funktionen und Aufgaben, die mit vielen Reisen verbunden waren, lassen sie merkwürdig unberührt. Sie weiß, was sie getan hat – aber sie ist nun nicht mehr emotional beteiligt. Sie wundert sich. Mit einem tiefen Seufzer stellt sie sich noch einmal die Szenen aus ihrer großen Freundschaft vor – mit dem Mann, der älter als sie, vor langer Zeit mit ihr in jahrelanger, herzlicher Verbundenheit durchs Leben ging. Er ist vorausgegangen – und mit einer sich selbst täuschenden Vorstellung eines Wiedersehens, möchte sie diese Welt verlassen. Sie hat keine Angst. Reich beschenkt und geadelt mit viel Zuwendung – auch in der letzten Zeit ihrer Krankheit – sagt sie sich: „ Es war gut so ! Ich habe das Leben genossen. Jetzt gehe ich ohne Groll – ich kann noch einmal das tun, was ich in vielen Fingerübungen in alle den Jahren geprobt habe; Loslassen.“ Hinterher werden die Betreuer sagen: „Sie hat gelächelt – und sie hat sich ganz leicht gemacht; als sei sie entschwebt“.
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Mit glasig-fernen Blick werde ich die Menschen auf der Bühne vor meinem Lager vorbeiziehen sehen. Ob ich noch jemanden erkenne? Ob sie in meiner Ausgezehrtheit noch den erkennen, den sie von damals kannten? Wer mich lange nicht gesehen hat, sollte mich nun auch nicht mehr sehen! Alles geschieht wie hinter dem Schleier der besänftigenden Trübnis schmerzstillender Mittel. Ich habe die Zeit verloren. Manchmal ist es zu hell, dann zu dunkel; ich friere. Angst kriecht in mir zum Bewusstsein hoch. Ich kann, will nicht mehr entscheiden. Alles geschieht ohne mich; es geschieht mir. Vielleicht höre ich Töne, sehe verschwommene Bilder aus der Vergangenheit, stammle Namen ohne Artikulation. Der Speichel läuft oder ist der Mund nur furchtbar trocken? Ich stöhne. Der Augenblick hat kein Ende. Alle Kraft zerfliegt, verweht…
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Plötzlich stürzt man – nur ein kurzer Moment, in dem der Film des Lebens noch einmal Kino macht. Man spürt im Fallen und Aufprallen am Fels das Zerbrechen der Knochen – schmerzlos – und fällt weiter. Nichts tut weh. Die Todesangst hat das Hirn rosarot vernebelt. Ein letztes Aufprallen – mit verrenkten Gliedern weiß man: Es ist vorbei. Vielleicht noch einen kleinen Augenblick ein ohnmächtiges Verdämmern – alles wird dunkel.
Vom Tod gekennzeichnet liegt der Todgeweihte; fast atemlos, schon schmerz- und gefühlsbefreit. Regungslos wartet er. Vielleicht registriert er Stimmen und Personen, die um ihn herum sind. Jetzt ist die Nagelprobe auf das Leben: Hätte man je ahnen können, wie diese letzten Momente sein würden? Ist da jemand, der die Hand hält, der leise spricht oder verständnisvoll schweigt? Das Atmen fällt schwer – und er möchte nicht mehr die Augen öffnen; denn der Blick hinter den Horizont gelingt nur mit geschlossenen Augen.
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Als Gläubige werde ich IHM gegenübertreten. Aber wo ein Leben lang Glaube war, ist auch der Zweifel gewachsen. Seit Kindertagen trug ich einen heiligen Stein mit mir. Er ist noch bei mir. Mit den Augen meines Glaubens werde ich ohne Mühen über den breiten Fluss gehen. Ich werde ihn bei mir tragen und ihn fragen: „Wie heißt du?“ Und er wird mir sagen: „ Ich bin Jesus – und bei dir!“. Götter würden sterben, wenn man nicht mehr an sie glaubt!
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Von meinem Tod möchte ich nichts wissen – und von meinem Sterben noch viel weniger. Ich gebe mich hin – lasse geschehen, was geschieht, habe nur Angst vor den Schmerzen. Niemand hat mich gefragt, ob und wie ich geboren werden wollte – und mit dem Sterben will ich es auch so halten – wie es sein wird, weiß ich nicht und will es auch nicht wissen. Es werden Leute um mich herum sein, die werden das machen, was ich nicht mehr kann und was mir helfen wird und mir guttut. Ich habe mein Leben nie wirklich geplant – und beim Sterben geht das, glaube ich, auch nicht…
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Als Arzt habe ich so viele auf ihrem letzten Weg begleitet – kann und darf ich mich in gleicher Weise auf meine Kollegen verlassen? Werden sie tun, was ich immer zu tun bemüht war? Mir die Schmerzen nehmen? Das Atmen bis zu meinem Ende ermöglichen? Mir den Mund, die Stirn feucht halten? Werden mich ihre Medikamente hinübertragen? Mir wird zum ersten und wohl zum letzten Mal klar, dass es etwas Anderes ist, andere zu begleiten als selbst – vielleicht dem Verstand entzogen – die letzten Stunden zu erleben. Muss ich mich ob meiner Angst schämen? War ich nicht immer der souveräne „Herr Doktor…“, der alles wusste, alles konnte? Und nun in meinem lächerlichen Nachthemd – oder bin ich nackt? Allein? – Noch erkenne ich – wie in einem Segment – den herabschauenden, besorgten Freund und Kollegen. Kann ich ihm Mut machen, ihm zunicken, ihm sagen, dass alles gut ist?
Sterben geschieht einem. Es wäre ein großes Geschenk an alle Beteiligt, wenn es einem gelänge, in Frieden und entspannt zu gehen. Das ist möglich. Dabei helfen palliativ-medizinische und palliativ-pflegerische Begleitungen. Wesentlich ist aber, dass man sein Lebensende erkennt und annimmt.
*Auszüge aus: Sterben und Tod – gelassen und angstfrei mit dem Lebensende umgehen, von Knud Eike Buchmann im Springer Verlag