Ein Beitrag von Tom Schröpfer
Mit der Coronapandemie ging nicht nur eine Krankheit viral, mit ihr nisteten sich auch viele neue Worte in den Alltagssprachgebrauch ein. Neben Reproduktionszahl, Triage, Herdenimmunität oder Mund-Nasen-Schutz, hat sich wohl kaum ein Begriff so sehr verselbstständigt, wie Social Distancing. Dabei ist die Wortwahl im engeren Sinne eigentlich irreführend, was mir erst durch eine Profilbildaktion auf Facebook verdeutlicht wurde. Dort strichen viele User in ihrem Profilbild das Wort Social Distancing leserlich durch, um darunter zu schreiben: Physical Distancing, Social Solidarity.
Der Memento Tag 2020 ist in meinen Augen ein gelungenes Beispiel für die Möglichkeiten, die zwischen all den verheerenden Auswirkungen der Gegenwart eben auch existieren. Der Blick auf das zweite Wort in Social Solidarity mag die Anstrengungen und Einschränkungen betonen, die wir alle in diesem Jahr eingegangen sind, um einer außergewöhnlichen Lage Herr zu werden. Im ersten Wort, Social, liegen für mich hingegen die kreativen Herausforderungen, die uns plötzlich, in vielen Fällen auch schmerzlich, gestellt wurden. Der Memento Tag 2020 zeigt, wie unter Einschränkungen ein Feuerwerk von Ideen entstehen kann und wie der digitale Raum trotz allem zum Austausch und zu Begegnungen führen kann, wenn auch in anderer Form.
Der Sprung ins digitale Alpenland
Dass dieses Jahr nicht nur Einschränkungen stattfanden, sondern auch neue Zusammenhänge wuchsen, zeigt sich unter anderem an der weiteren Internationalisierung des Memento Tags. Den weiten Sprung von Australien nach Deutschland hatte er im letzten Jahr bereits genommen. In diesem Jahr gelang der räumlich kleinere Hüpfer nach Österreich, der allerdings großen kreativen Zuwachs bedeutete. Auch im Alpenland wurden die Gestaltungsspielräume der digitalen Welt erkundet und unter anderem mit Formaten wie Videointerviews, Online-Lesungen und musikalischen Videobeiträgen bespielt. So konnte sich dem memento mori Gedanken beispielsweise auf Gefühlsebene genähert werden, wenn man dem Vortrag von Poesie über eine Onlinelesung folgte. Wer eher einen sachlichen Zugang suchte, war eingeladen die Onlinepräsenzen des Dachverbands Hospiz Österreich oder von Rainbow-Wien zu erkunden. Bemerkenswert an diesen Auftritten finde ich, dass hier der Spagat zwischen nüchternen Informationen und der Existentiälität der Thematik gelingen muss. Rainbow-Wien stellten neben den Informationen zu ihrer Arbeit deshalb auch einen Erfahrungsbericht aus der Begleitung eines jugendlichen Mädchens bereit. Der Text Mama – du fehlst gewährt konkrete Einblicke in die vielfältige Arbeit von Trauerbegleiter*innen.
Trauerbegleiterinnen, Coaches, Autoren und Urnenmalerinnen luden mit unterschiedlichen Schwerpunkten in ihren Artikeln dazu ein, der Sterblichkeit Platz im eigenen Bewusstsein einzuräumen und Endlichkeit als Teil des Lebens zu begreifen. Den Tod als Freund betrachten, Trauer ins Leben integrieren, den bislang mathematisch definierten Begriff Endwert neu besetzen, oder die persönlichen Beweggründe des beruflichen Werdegangs einer Urnenmalerin nachvollziehen – jeder Text des österreichischen Memento-Tags gibt andere Einblicke in das, was letzlich doch schwer fassbar bleibt.
Dass die Beschäftigung mit dem Ende facettenreich und neben dem Freisetzen von Energien auch Schwere und Traurigkeit bedeuten kann, belegen die Blogbeiträge einer Frau mit Krebsdiagnose, die unter anderem über den Verlust einer Bekannten mit ähnlicher Erkrankung schreibt.
Auch unter freiem Himmel schien die Sonne
Der 08.08.2020 war in Österreich übrigens ein sehr heißer, und sonniger Tag, was sich eindrucksvoll auf den Bildern der Aktion SargBARgespräche & JoURNey zeigt. Auf dem St. Barbara Friedhof in Linz errichteten zwei Frauen eine Kunstinstallation aus Särgen und Urnen und nutzten diese Symbolik als Katalysator für einen lebendigen Austausch über den Tod. Dass Kunst immer auch ein Anreger zum Dialog sein kann, zeigte sich ebenfalls in den Aktionen, die das stationäre Hospiz im Pflege- und Betreuungszentrum Tulln mit seinen Bewohner*innen durchführte.
Wer sich an diesem Tag einer Wanderung im Virgental in Osstirol hingab, konnte auf eine Frau treffen, die über eigens angefertigte Flyer in Kontakt und ins Gespräch über den Memento-Tag kommen wollte.
Der Memento Tag hat also auch in Österreich gezeigt, wie trotz räumlicher Distanz und der immernoch bestehenden Abstandsregelungen, soziales Zusammenrücken und kreative Begegnungen möglich sind.
Ein Besuch der österreichischen Memento Tag Website lohnt in jedem Fall.